Title
Jacob Burckhardt. Ein Portrait


Author(s)
Meyer, Kurt
Published
München 2009: Wilhelm Fink Verlag
Extent
286 S.
Price
€ 24,90
Reviewed for H-Soz-Kult by
Uwe Walter, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Alte Geschichte, Universität Bielefeld

Jacob Burckhardt hat sich bekanntlich der Verwissenschaftlichung des Redens über die Vergangenheit verweigert. Geschichte als im Ganzen notwendige Entfaltung einer Idee war ihm ebenso fremd wie das Bemühen, durch theoretische Reflexion, Materialanhäufung oder Autoritätsprätention einen Königsweg zur tieferen Erkenntnis zu gewinnen.1 Ziel seiner Historiographie und Lehrtätigkeit war es auch nicht, (quellen-)kritisch und analytisch den ‚Fortschritt der Wissenschaft’ zu fördern, sondern anschauend die Fülle der menschlichen Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten zu präsentieren und damit dem denkenden und ästhetisch empfänglichen Menschen „Möglichkeiten zu eröffnen, sich aus der blinden Verflochtenheit in einen humanitätsfeindlichen Machtbetrieb zu lösen“.2 Von daher besteht zwischen den anspruchsvollen Untersuchungen, die Jacob Burckhardt immer wieder geschichtstheoretisch, ideengeschichtlich oder historiographiegeschichtlich ins Visier nahmen und nehmen, und dem Habitus der behandelten Gestalt eine offenkundige Kluft. Der Autor des vorliegenden Buches3 mag dies intuitiv erkannt haben; jedenfalls beschränkt er sich darauf, den an Jacob Burckhardt Interessierten eine kenntnisreiche, zugleich leicht fassliche Einführung in Leben und Werk zu geben, unter weitgehendem Verzicht auf Vertiefung und echte Problematisierung, in gepflegter, mitunter etwas betulicher Sprache, garniert mit vielen Bildern. Aus den ansonsten eher belanglosen persönlichen Kommentaren sticht eine Bemerkung zu einer Fotografie Jacob Burckhardts im Halbprofil heraus: „ein lächelnder alter Bauer“. Wer als „wahren Wesenszug eines Konservativen“ das „Bedürfnis nach dem Einfachen und Stetigen“ ausmacht (S. 95), verfehlt jedoch die polemische Sprengkraft von Burckhardts Gegenwartsdiagnose und Geschichtsmodell weit.

Einleitend skizziert Meyer Spuren Burckhardts in der Gegenwart und sieht in dessen Geschichtsverständnis ein Korrektiv zu einem betont rationalen Weltverständnis, habe Burckhardt doch auch der „sinnlichen Komponente Platz eingeräumt, kommen Begriffe wie dunkle Gefühle, Phantasie, Vorahnung, Mysterium oder Rätsel wie selbstverständlich vor“ (S. 21). Meyer meint das wahrscheinlich viel unschuldiger, als man es verstehen kann. Auf der Grundlage von Kaegis monumentaler Biographie und immer wieder mit ausführlichen Zitaten aus Briefen und anderen Zeugnissen garniert wird dann die erste Lebenshälfte skizziert, gefolgt von (sehr viel ausführlicheren) paraphrasierenden Kapiteln über die in dieser Phase entstandenen Werke. Die zweite Lebenshälfte definiert Meyer pragmatisch als den Abschnitt der Vorlesungen und Vorträge, aus denen erst posthum und teilweise gegen Burckhardts Widerstand die Bücher hervorgehen sollten, die den Ruhm des Baslers heute wohl noch stärker ausmachen als die zu Lebzeiten publizierten. Auch die „Erinnerungen aus Rubens“, die „Griechische Culturgeschichte“ und die „Weltgeschichtlichen Betrachtungen“ werden mit vielen Zitaten referierend vorgestellt. Es folgen kürzere Kapitel zu Burckhardts Vorträgen am Beispiel des Stückes über Napoleon, zum Briefschreiber (darin: zwei Seiten zu Jacob Burckhardts Antisemitismus, den Meyer auch so nennt), zur Vorlesung „Geschichte des Revolutionszeitalters“, zum kunsthistorischen Werk und zu den beiden Gesamtausgaben. Etwas überraschend schließen sich Bemerkungen zu Karl Löwith an, der Jacob Burckhardt 1936 zu einem anti-nietzscheanischen Präzeptor des Maßes machte, „in einer Welt, wo Anfang und Ende unbekannt sind und die Mitte in beständiger Bewegung ist“ (S. 220), und zu Werner Kaegis siebenbändiger Biographie, die Meyer „verklärend“ nennt. Dann wird Jacob Burckhardt noch einmal gewürdigt: als Europäer und als Mensch. Es gibt eine Schlussbetrachtung, einige wenige Literaturhinweise und die Endnoten.

Meyer belässt es meist dabei, Spannungen und Polaritäten in Burckhardts Denken festzustellen, fragt aber nicht nach der verborgenen Dialektik. Die Griechen waren eben selbstzerstörerisch, aber zugleich ungeheuer kreativ; in der Kunst kompensierten sie Jammer und Elend ihrer alltäglichen Existenz. Das darf man unterkomplex nennen. Denkanstöße liefert der Autor hingegen für den Umgang mit der noch nicht vollendeten Edition der Materialien aus dem Nachlass im Rahmen der großen Kritischen Gesamtausgabe (Jacob Burckhardt Werke), indem er den offenbar großen Abstand zwischen Burckhardts sammelnden und vorbereitenden Niederschriften einerseits und dem tatsächlich gesprochenen Wort, wie es sich aus Hörermitschriften und Zeitungsberichten erschließen lässt, deutlich betont.4 Darüber wird man auf breiterer Grundlage urteilen können, wenn Ende 2009 die Ausgabe der Unterlagen zur Vorlesung „Geschichte der Revolutionszeit“ vorliegt und diese dann genauer mit den hierfür bereits ediert vorliegenden Nachschriften verglichen werden können.

Das leicht lesbare Portrait richtet sich ausdrücklich an ein großes Publikum.5 Durch viele Zitate und die anschauliche Darstellung macht es Appetit auf die Lektüre von integralem Burckhardt.

Anmerkungen:
1 Vgl. Jacob Burckhardt, Griechische Kulturgeschichte, Bd. 1 (= Gesammelte Werke, Bd. 5), Basel 1956, S. 7: „Wir sind ‚unwissenschaftlich’ und haben gar keine Methode, wenigstens nicht die der andern.“.
2 Wolfgang Hardtwig, Jacob Burckhardt (1818-1897), in: Lutz Raphael (Hrsg.), Klassiker der Geschichtswissenschaft, Bd. 1: Von Edward Gibbon bis Marc Bloch, München 2006, S. 106-122, hier S. 117.
3 Von ihm liegt im gleichen Verlag vor: Kurt Meyer, Von der Stadt zur urbanen Gesellschaft. Jacob Burckhardt und Henri Lefebvre, München 2007.
4 Dazu einige vorläufige Hinweise und Überlegungen bei Uwe Walter: Notiert – gesagt – gehört – verstanden? Jacob Burckhardts Vorlesungen und Vorträge. In: <http://faz-community.faz.net/blogs/antike/archive/2009/06/08
/notiert-gesagt-gehoert-verstanden-jacob-burckhardts-vorlesungen-und-vortraege.aspx> (03.07.2009).
5 Wertvoll bleiben knappere Skizzen für einen ähnlichen Leserkreis: Hermann Heimpel, Zwei Historiker: Friedrich Christoph Dahlmann, Jacob Burckhardt, Göttingen 1962, S. 21-39 (zuerst in: H. Heimpel u.a. (Hrsg.), Die großen Deutschen, Bd. 4, Berlin 1957, S. 11ff.); Joachim Fest, Wege zur Geschichte. Über Theodor Mommsen, Jacob Burckhardt und Golo Mann, Zürich 1992, S. 71-111. Siehe auch den unter Anm. 2 genannten Essay.

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